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Was ist "Technische Kunstgeschichte"?

Was ist „Technische Kunstgeschichte"?


Der Begriff „Technische Kunstgeschichte" umschreibt einen interdisziplinären Forschungsansatz, welcher Kunstgeschichte (erforderlichenfalls auch weitere historische Disziplinen), Restaurierung und naturwissenschaftliche Kunstgutuntersuchung  miteinander kombiniert.

 

Das Arbeitsgebiet umfaßt die historische und naturwissenschaftliche Erforschung der künstlerischen Materialien und Techniken, der Entwurfs- bzw. Werkstattpraktiken sowie die kunsttechnische Quellenforschung.

 

Eine wichtige Ergänzung dazu bilden Rekonstruktionsstudien, welche die kritische Auswertung kunsttechnischer Quellen mit dem Nachvollzug der beschriebenen künstlerischen Techniken verbinden.

 

Seit dem Mitte des 19. Jahrhunderts hat es immer wieder Arbeiten in dieser Richtung gegeben - von gelehrten Künstlern (u. a. Merrifield, Eastlake, Berger), Naturwissenschaftlern (u. a. Raehlmann, Church, Laurie, Eibner) oder Kunsthistorikern (u. a. Frimmel, Graeff, Wolters), seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend von Restauratoren (zuerst Taubert, van Dantzig, danach viele andere), einen Höhepunkt nicht nur im deutschsprachigen Raum stellte schließlich das dreibändige „Handbuch der künstlerischen Techniken" von Reclam (1984-1990) mit essentiellen Arbeiten von Koller, Straub, Roosen-Runge, Knoepfli, Emmenegger u. a. dar.

 

Seitdem sind zahlreiche weitere Forschungen, meist monografische Untersuchungen zu einzelnen Künstlern oder Epochen, erschienen. Die Forschungsmethoden haben sich dabei in wachsendem Maß sowohl hinsichtlich der restauratorischen und naturwissenschaftlichen Untersuchung verfeinert, als auch ausgeweitet, indem heute eine wesentlich breitere Quellenbasis ausgewertet und mit Ergebnissen der Wirtschafts-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte verknüpft wird.

 

Der Ausdruck der „Technical Art History" wurde 1995 von David Bomford, Restaurator der Londoner National Gallery (und Mitinitiator der Reihe „Art in the Making"), auf der Suche nach einem Begriff eingeführt, welcher die verschiedenen, jedoch miteinander verwandten Forschungsansätze umfassen sollte (mitunter wird auch der Terminus „technical history of art" verwendet). Die Technische Kunstgeschichte hat ihren Anspruch, mit einem möglichst breit basierten, interdisziplinären Forschungsansatz die verschieden Ergebnisse in komplexen Studien zusammenzufassen, mittlerweile in zahlreichen - meist englischsprachigen - Arbeiten verwirklicht.

 

Daß die Mehrzahl dieser Studien aus Museen und Denkmalpflegeinstitutionen kommt, liegt in der Natur des Gegenstandes begründet, besteht doch an diesen Stellen der direkteste Zugang zu den Primärquellen, also den Kunstwerken selbst.

 

Begriff und Name der „Technischen Kunstgeschichte" haben sich jedoch im deutschen Sprachraum noch nicht verbindlich durchsetzen können, obgleich Manfred Koller 2005 dazu einen grundsätzlichen Artikel in „Kunstgeschichte aktuell", der Zeitschrift des österreichischen Kunsthistorikerverbandes, veröffentlicht hatte. Der Text stellt auf derart konzentrierte Weise Ursprung, Zweck und Entwicklungsstand der Technischen Kunstgeschichte dar, daß hier auf ihn zur weiterführenden Lektüre verwiesen sei.

 

Mir erscheint dieser neue Wissenschaftszweig als das „missing link" zwischen der quasi positivistischen Faktenerhebung, wie sie Restauratoren und Archäometriker meist betreiben, und den auf das künstlerische Material gerichteten Untersuchungen, wie sie z. B. auch in der neueren deutschen Kunstgeschichte in wachsendem Maß unternommen werden. Wobei nach dieser Seite anstelle klarer Grenzen zwischen „Technischer Kunstgeschichte" und „Kunstgeschichte" eher fließende Übergänge zu konstatieren sind.