Zum Quellenwert digitalisierter Galeriepublikationen (1871–1949)

Galerien handeln von jeher mit zeitgenössischer Kunst. Sie stellen jüngst geschaffene Werke aus und engagieren sich für deren Marktbildung. An französischen Vorbildern orientiert, verbreiteten sich Galerien am Ende des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland. Wirtschaftlicher Aufschwung und der Wunsch nach gesellschaftlicher Erneuerung boten dazu eine Grundlage. Innerhalb weniger Jahre konnten weitsichtige Akteur*innen des Handels gutsituierte bürgerliche Kreise für moderne künstlerische Positionen interessieren, vielbeachtete Sammlungen initiieren und das Geschäftsmodell der Galerie im Kunsthandel etablieren.

Unbekannten Kunstwerken einen Primärmarkt zu schaffen, ist mit einem hohen unternehmerischen Risiko verbunden. Ein entsprechend orientiertes Geschäft über Jahre hinweg erfolgreich zu führen, war und ist deshalb keine Selbstverständlichkeit. In den 1920er Jahren schränkten die Folgen des Ersten Weltkrieges, die Hyperinflation und die Weltwirtschaftskrise den deutschen Handel zusätzlich ein. Dennoch war es bis zum Beginn der 1930er Jahre gelungen, der modernen zeitgenössischen Kunst auch in Deutschland Wert und Anerkennung zu verschaffen, sie als Ausweis einer fortschrittlichen Haltung in die Gesellschaft einzuführen und sie gegen den Willen reaktionärer Kräfte auch in Museen zu verankern. Galeriepublikationen, die oft nur als Faltblätter und in kleinen Auflagen herausgeben wurden, haben diese Entwicklung begleitet und die Verfügbarkeit neuester Werke transparent beworben.

Mit dem Ende der Weimarer Republik wurde moderne Kunst, ihr Handel und Erwerb zum Feindbild nationalsozialistischer Kulturpolitik, die 1937 in die Aktion „Entartete Kunst“ mündete. Für die Kunstmarktforschung ist die Zahl von ca. 20.000 Gemälden, Skulpturen und Arbeiten auf Papier, die in Museen als „entartet“ beschlagnahmt wurden, ein quantitativer Anhaltspunkt der geleisteten Vermittlungsarbeit des Handels an öffentliche Einrichtungen. Die Zahl der bis dahin in Privatbesitz verkauften Werken ist deutlich höher zu vermuten. Die Provenienzforschung hat bereits einen Teil dieser Arbeiten aus dem Eigentum jüdischer Sammler*innen nachgewiesen, die nach 1933 von Nationalsozialisten verfolgt und zum Verkauf der Werke gezwungen wurden.

Bisher ist die Rekonstruktion der frühen Wege moderner Werke im Handel eine Herausforderung für die Wissenschaft. Der Provenienzforschung zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien von 1998 fehlen dringend benötigte dokumentarische Nachlässe der Galerien, die zeitgenössische Kunst vor und nach 1933 angeboten und verkauft haben. Die wenigen bekannten Teilnachlässe sind meist unzureichend erschlossen und die seit 2011 über German Sales bereitgestellten Kataloge aus dem Sekundärmarkt des Auktionshandels führen moderne Werke nur vereinzelt auf, da diese eben primär von Galerien verbreitet und in den Markt eingeführt wurden.

Die möglichst weitreichende digitale Bereitstellung von Galeriepublikationen erweitert mithin die Quellenbasis der Provenienzforschung im Feld der Klassischen Moderne signifikant. Belegbar wird, wann und in welchem Kontext einzelne Werke ausgestellt waren und unter welchen – heute oft nicht mehr gültigen – Titeln sie zeitgenössisch angeboten wurden. Es werden Recherchen zur Verfügbarkeit von Werken in Galerien möglich, bevor oder nachdem sich Sammler*innen für deren Erwerbung oder Wiederverkauf entschieden haben. Insbesondere nach 1933 annoncierte Werke können dabei auf NS-verfolgungsbedingte Entzugskontexte verweisen.