Zigaretten als Lifestylephänomen

In Magazinen wie ‚Uhu‘ und ‚Scherl’s Magazin‘ wird der Werbung neben Ratgebern, Kurzgeschichten, Kreuzworträtseln etc. viel Platz eingeräumt. Insofern kann man diese Magazine als treibende Kraft hinter der neu aufkommenden konsumorientierten Populärkultur verstehen. Die Werbeanzeigen und Ratgebertexte regen die Leser*innen an, an dieser Konsumkultur zu partizipieren. Der Konsum ermöglichte Personen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bzw. die Abgrenzungen von anderen. Nach außen sichtbare kulturelle und alltägliche Praktiken, die Rezeption bestimmter Artefakte, das Tragen einer bestimmten Kleidung… All diese ästhetischen Zeichen konstituiert die Stilgemeinschaft der jungen, urbanen Generation im Kontrast zu Konservativen, Landmenschen etc. Insofern als dieser ästhetische Stil frei gewählt werden kann und nicht einfach nur Teil der unterhaltungsorientierten Populärkultur ist, sondern eine gesellschaftlich orientierende und distinguierende Funktion hat, kann hier von einer sich in Ansätzen konstituierenden Pop-Kultur gesprochen werden (Venus 2013, Lickhardt 2018). Diese konnte in ersten Ansätzen entstehen, weil die wilhelminische Gesellschaftsordnung niedergegangen war. Es kam zur Nivellierung klassengesellschaftlicher Ungleichheiten und infolgedessen zu einem gesteigerten Bedürfnis der Abhebung und Distinktion aus dieser nicht mehr ständisch unterteilten Masse. Der Konsum hatte die Funktion der Demonstration und des Sichtbarmachens individueller Lebensstile und wurde zum Ausdruck einer mondänen Lebenswelt. Die neu erhaltene Freizeit diente somit, wie Knop beschreibt, zur „Definition des eigenen Lebensstils qua Konsum“ (Knop 2008, 137). 

Durch die hohen Auflagen, die große Verbreitung und ihren druckgraphischen Möglichkeiten waren illustrierte Zeitschriften das Wichtigste Medium für die Reklame. Somit dienten sie auch dazu, ein modernes Menschenbild zu schaffen, das im Sinne Helen Barrs einen ‚neuen‘ Menschen hervorbringen sollte. Natürlich entwirft die Werbung mit all ihren Ansprüchen, Vorstellungen, Erwartungen und Normen ein defizitäres Bild des Menschen. Die Reklame wird so zum „Ratgeber für den verunsicherten Menschen“ und zeigt auf, wie und vor allem mit welchen Produkten die „richtige“ Lebensweise gelingen kann. Die angepriesenen Produkte sollten den Menschen in seinem „Lebenskampf“ unterstützen (Barr 2012, 242–243). Indem Konsument*innen ihre Defizite durch den Kauf bestimmter Produkte beheben können (Barr 2012), sind sie einem mühevollen und teureren Prozess der Selbstoptimierung unterworfen. Aber die Werbung zeigt eben auch, wie leicht es in der Moderne ist, sich zu transformieren – sofern man es bezahlen kann.

Werden Menschen in Zigarettenwerbungen dargestellt (graphisch oder real), sind dies vor allem Angehörige einer urbanen Mittelschicht. Äußere Erscheinungsmerkmale wie elegante Kleidung und moderne Frisuren zeugen davon. Werbungen wie diese zielten dabei nicht unbedingt auf die Darstellung der realen Lebenswelten der Leser*innen. Vielmehr gab man damit den Menschen ein Gefühl der Erreichbarkeit der ‚besseren‘, erstrebenswerten Welt des Bürgertums. Somit konnte ein Gefühl der Statusverbesserung qua Konsum entstehen (Schug 2011). 

Der elegante Mann kleidet sich mit Sakko, Frack oder einem lässigen Smoking. Dazu gehört der steife Homburg-Hut oder eine Schirmmütze. Sportliche Männer tragen kurze Knickerbocker und Trenchcoat. Die moderne Frau zeichnet sich durch eine neue ideale Silhouette aus, welche auf Geradlinigkeit setzt. Miederhemden, Hänge- und Hemdblusenkleider haben einen geraden Schnitt, hängen locker am Körper und werden bis zu den Knien gekürzt. Dazu gehört ein spezielles Körperideal, welches körperliche Gesundheit widerspiegeln sollte: Die moderne Frau ist sportlich schlank und sonnengebräunt. Im Einklang mit der androgynen Silhouette beginnt sich die ‚Neue Frau‘ die Haare kurz zu schneiden. Entweder zum berühmten Bob oder Bubikopf oder sogar zum Pagen- oder Etonschnitt.
Der Besuch verschiedener Unterhaltungstätten wie Kino, Sportveranstaltungen, Varietés und Tanzsäle gehörte natürlich genauso dazu wie die richtige Kleidung. 

Aufgezeigt wird der Geist der Zeit, welcher sich durch Schnelllebigkeit definierte und neue Unterhaltungsformen bot. Sportarten wie Golf, Tennis, Reitsport und Autorennen werden auch auf den Zigarettenwerbungen dargestellt (Abb. 7). Das Zigarettenrauchen der jeweiligen Marke und die neue Lebensart mit ihren Konsummöglichkeiten und Freizeitgestaltungen werden miteinander in Beziehung gesetzt. Die Darstellungen vermitteln ein Bild, welches stark an die Wesenszüge des Dandys des 19. Jahrhunderts erinnern, geprägt durch Müßiggang, eleganter Mode sowie dem Besuch exklusiver Salons, Klubs und Cafés. Neben der Kleidung und den neuen Unterhaltungsangeboten war es genauso Usus Zigaretten zu rauchen. Die Zigarette gehörte somit als Accessoire dazu und galt als ein Symbol der Zugehörigkeit zu ebendieser Gruppe der eleganten, modernen Männer und Frauen (Abb. 7; Abb. 8).

Rauchen war also nicht bloß eine reine Männersache. Auch die Frau wird als Werbeadressatin immer interessanter, auch weil sie als weibliche Angestellte über ein bescheidenes Gehalt verfügte und ein wenig Kaufkraft hatte. Durch die zarte, elegante und im Vergleich zur ‚männlichen‘ Zigarre ‚weiblichen‘ Zigarette wurden auch Frauen für dieses Produkt angesprochen. Neben der erwerbstätigen Frau, die vor allem als Hausangestellte, Fließbandarbeiterin, Verkäuferin und Sekretärin arbeitete, etablierte sich in der Gesellschaft der Weimarer Republik eine neues Frauenbild. Die ‚Neue Frau‘ wurde zum Sinnbild dieser Entwicklung. Sie entsprach dem in der Werbung konstruierten Leitbild der modisch gekleideten Frau mit kurzgeschnittenem Bubikopf. Auch war es diesem Frauentypus partiell möglich, sich in der Männerwelt zurechtzufinden und bis zu einem gewissen Grad daran teilzunehmen, indem sie es verstand, sich männliche Symbole wie Rauchen, Sport oder Autofahren anzueignen. Das Image der Neuen Frau konnte auch durch Werbung und Zeitschriften popularisiert werden.

Die Zigarettenwerbung machte sich auch den Erfolg des Films und Kinos zunutze. Mithilfe der Werbestrategie der Sammelbilder sollte neue Kunden angezogen werden. Beim Kauf des entsprechenden Produkts wurden Bilder bekannter Schauspieler*innen kostenlos zum Sammeln zur Verfügung gestellt. Die einzelnen Bilder wurden dann in ein Album eingesteckt oder eingeklebt, das käuflich zu erwerben war. Auch die Marke Manoli greift auf diese Taktik zurück, indem den Käufer*innen die 168 Fotos berühmter Filmdarsteller*innen und „Charackterköpfen“ geboten werden (Abb. 9). 

„Alle Ihre Filmlieblinge können Sie jetzt zu Hause bewundern, besprechen – und immer finden Sie dadurch eine anregende Unterhaltung! In jeder Packung der „MANOLI GOLD“-Zigarette liegen echte Photos berühmter Filmkünstler! So können Sie 168 hochkünstlerische Photos Ihrer Filmlieblinge gratis sammeln!“ Indem Lilian Gish, Werner Fuetterer, Erna Morena, Hanni Weise u.a. in diesem Kontext benannt werden, werden Starkult und Rauchen verschränkt.